Davon entfällt ein Großteil in die Zuständigkeit des Innenministeriums. Das Innenministerium hat den Bericht ausgewertet und die Umsetzung der Handlungsempfehlungen in die Wege geleitet. Gut sechs Monate nach der Veröffentlichung des Abschlussberichts hat Innenminister Roman Poseck heute in Wiesbaden einen Überblick über den Umsetzungsstand gegeben.
Innenminister Roman Poseck führte dabei aus:
„Der rassistische Terroranschlag von Hanau am 19. Februar 2020 ist eine Zäsur für das Land Hessen. Vor mehr als vier Jahren wurden zehn Personen, davon neun junge Menschen mit Migrationshintergrund, aus rechtsextremen und rassistischen Motiven ermordet. Sie waren Teil unserer Gesellschaft. Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov wurden plötzlich aus ihrem Leben gerissen.
Der 19. Februar 2020 löst bis heute Trauer und Entsetzen aus. Mich persönlich macht das Leid der Opferfamilien tieftraurig. Betroffen macht mich vor allem auch, dass es dem Staat nicht gelungen ist, diese schreckliche Tat zu verhindern. Die Menschen erwarten zu Recht Schutz durch den Staat. Schutz zu gewähren, ist unser Auftrag und unser Anspruch. Dieser Schutz ist in Hanau nicht gelungen.
Für mich steht außer Frage, dass in der Tatnacht und danach Fehler gemacht wurden, auch seitens der Polizei. Dazu gehören beispielsweise der nicht erreichbare Notruf in der Tatnacht sowie Umstände der Überbringung der Todesnachricht sowie des Abschiedes der Hinterbliebenen von ihren Angehörigen. Hierdurch sind den Angehörigen weitere Verletzungen zugefügt und Vertrauen beschädigt worden.
Mir tut es persönlich über alle Maßen leid, dass die Angehörigen weiteres Leid erfahren mussten. Ich entschuldige mich ausdrücklich für die Fehler, die passiert sind.
Auch wenn es menschlich verständlich ist, dass bei einem so außergewöhnlichen Einsatz wie dem in Hanau auch Fehler gemacht werden, ist die polizeiliche Bearbeitung den Ansprüchen und Erwartungen an einigen wichtigen Stellen nicht gerecht geworden. Diese klare Feststellung ändert aus meiner Sicht nichts an der gleichfalls richtigen Bewertung, dass die Beamtinnen und Beamten, die in der Tatnacht und danach im Einsatz waren, engagiert und aufopferungsvoll gehandelt haben.
Wir dürfen das Attentat von Hanau und die Opfer niemals vergessen. Wir sind gerade jetzt verpflichtet, die richtigen Lehren für die Zukunft zu ziehen, damit sich so etwas Furchtbares in unserem Land niemals wiederholen kann.
Dabei kommt es mir zunächst auf die folgenden Punkte an:
- Konsequente Bekämpfung des Rechtsextremismus. Er ist die größte Gefahr für unsere Demokratie, und Hanau zeigt, zu welch grausamen Verbrechen rechtsextreme Täter fähig sein können. Wir setzen auf konsequente Arbeit des Verfassungsschutzes und erfolgreiche Strafverfolgung mit unserer „Besonderen Aufbauorganisation Rechts“ (BAO). Daneben muss es aber auch um Präventionsmaßnahmen gehen. Dazu leistet beispielsweise das Demokratiezentrum Marburg vorbildliche Arbeit in der Rassismusbekämpfung und Demokratieförderung. Hier ist die gesamte Gesellschaft aufgerufen.
- Vertrauen bilden und zurückgewinnen. Unser Ziel muss es sein, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Für mich gehört dazu auch ein offener Dialog mit den Angehörigen der Opfer.
- Handlungsempfehlungen umfassend umsetzen. Der Hessische Landtag hat die Geschehnisse um die Terrornacht in einem Untersuchungsausschuss aufgearbeitet. Dabei wurden wichtige Handlungsempfehlungen festgelegt, für die ich dem Untersuchungsausschuss sehr dankbar bin. Wir haben diesen Bericht ausgewertet und wollen für den Verantwortungsbereich des Innenministeriums den Empfehlungen vollumfänglich gerecht werden. Teilweise liegt die Zuständigkeit für die Umsetzung aber auch auf Bundesebene, im Hessischen Landtag oder in anderen Ressorts. Auch insoweit werde ich aber meinen Einfluss geltend machen.
Bereits nach dem Attentat sind konkrete Maßnahmen ergriffen worden, damit sich Defizite der Tatnacht nicht wiederholen. Seit August 2021 sind beispielsweise alle Notrufe in Hessen zentralisiert, so dass sichergestellt ist, dass Anrufe über die 110 jederzeit angenommen werden können.
Darüber hinaus will ich folgende aktuelle Punkte der Umsetzung hervorheben:
Bessere Früherkennung von Gefährdern
Anfang Mai 2024 hat das Landesamt für Verfassungsschutz organisatorische Umstrukturierungen angestoßen, um die Amokprävention in der behördlichen Organisation besser abzubilden und dadurch zu intensivieren. In Anlehnung an das hessische Extremismus- und Terrorismus-Abwehrzentrum (HETAZ) wird beim Landesamt für Verfassungsschutz die Geschäftsstelle für ein Amokpräventionszentrum eingerichtet werden, in dem ein enger Austausch der Sicherheitsbehörden stattfinden wird.
Die Bearbeitungszeiten der eingehenden Meldungen bei der Meldestelle #HessengegenHetze werden reduziert. Dafür testet das Innenministerium derzeit eine Software, die einen Arbeitsschritt verkürzt. Zudem wurde die Meldestelle in polizeiliche Strukturen überführt, um einen flexibleren Personaleinsatz zu ermöglichen, sodass vorübergehende Spitzen abgefangen und Rückstände verhindert werden.
Verbesserter Umgang mit Opfern
Zentrale Maßnahme zur Verbesserung der Opferbetreuung ist die konzeptionelle Weiterentwicklung der polizeilichen Opfer- und Angehörigenbetreuung. Unter anderem bei einem Anschlag wird zukünftig regelhaft eine Einheit für die Opferbetreuung als „Single Point of Contact“ für Opfer und Angehörige mit aufgebaut.
Verschärfungen des Waffenrechts
Ich setze mich für eine Anpassung des Landesrechts ein, um zu gewährleisten, dass Waffenbehörden informiert sind, wenn psychisch erkrankte Personen sich als ungeeignet zum Waffentragen erweisen.
Außerdem habe ich mich in einem Schreiben an die Bundesinnenministerin für Regelungen des Waffengesetzes – eines Bundesgesetzes – stark gemacht und der Bundesinnenministerin meine Unterstützung bei von ihr beabsichtigten Gesetzgebungsvorhaben in diesen Punkten zugesagt.
Verbessertes Notrufsystem
Die hessische Polizei hat ein Notrufkonzept für Anschlags- und Großschadenslagen entwickelt, den sog. „Anschlagsbutton“. Wird er betätigt, verkürzt sich die Warteschleife, die bei einer besonderen Vielzahl von Anrufen über die 110 eintreten kann, indem alle sieben hessischen Leitstellen die Notrufe annehmen können.
Beim nichtpolizeilichen Notruf 112 wurde für alle hessischen Leitstellen im März 2023 sowie kürzlich auch für die Leitstelle Frankfurt ein Notrufüberlauf durch Zusammenschaltung von drei Zentralen Leitstellen etabliert.
Mehr Respekt gegenüber Polizeibeamten und Betreuung von Einsatzkräften
Den Bediensteten der hessischen Polizei steht für die psychosoziale Notfallversorgung sowie Beratung ihrer Bediensteten ein Netzwerk mit über 20 psychosozialen Fachkräften und 150 Peers sowie ein Supervisionskonzept für Schwerpunktzielgruppen zur Verfügung. Für die psychosoziale Betreuung der sonstigen Einsatzkräfte existieren Einsatznachsorgeteams in Trägerschaft Dritter. Die Strukturen werden seit Ende 2023 über die vom Innenministerium eingerichtete Landeszentralstelle Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) vernetzt und qualitativ einheitlich gesichert.
Das Innenministerium erarbeitet ein „Respektpaket“, um den Respekt vor und für Einsatzkräfte zu verbessern. Es soll mehrere Maßnahmen umfassen wie u.a. eine Bundesratsinitiative zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes von Einsatzkräften, eine weitere Entbürokratisierung bei der Angriffsentschädigung und den Ausbau einer Anerkennungskultur für polizeiliche Leistungen.
Mehr Demokratieresilienz und -förderung sowie Rassismusprävention
Ich habe im März 2024 veranlasst, dass an der HöMS, an der u.a. der Polizeinachwuchs ausgebildet wird, ein verpflichtender Ausbildungsbaustein „Toleranz, Antirassismus und Kultursensibilität“ eingeführt wird, der die bisherigen Veranstaltungen der HöMS zu diesem Themenkomplex ergänzt.
Weiter wurde erstmals im März 2024 an der HöMS eine Pflichtveranstaltung für Erstsemester im Fachbereich Polizei durchgeführt, die „Extremismus in Institutionen“ und „Haltung und Werte“ thematisiert. Außerdem wurde ein verpflichtendes „Antirassismustraining“ für das 6. Ausbildungssemester etabliert, das erstmals im Januar 2024 (bzw. mit Auftaktveranstaltung für Lehrende im Dezember 2023) stattfand.
Ende 2022 wurde an der HöMS eine Forschungsstelle „Extremismusresilienz“ etabliert. Seit April 2023 ist die Forschungsprofessur nebst Mitarbeiterstab besetzt.
Zudem haben das Hessische Innenministerium, die HöMS und die Gedenkstätte Hadamar eine Kooperation geschlossen, die es Anwärterinnen und Anwärtern im Rahmen ihres Studiums ermöglicht, die Gedenkstätte Hadamar zu besuchen, um die Erinnerungskultur an die Gräueltaten des Nationalsozialismus wachzuhalten.
Das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen hat seine langjährige Kooperation mit den staatlichen Schulämtern ausgebaut. Die erste Abordnung eines Gymnasial-Lehrers ins Landesamt für Verfassungsschutz, um diesen im Landesamt fortzubilden, wird mit dem Beginn des neuen Schuljahres umgesetzt werden.
Diese Maßnahmen sind nur einige, die ich an dieser Stelle beispielhaft benennen möchte. Klar ist, dass wir uns in einem Prozess befinden, der es immer wieder erforderlich macht, die Maßnahmen zu prüfen und ggf. anzupassen. Wir stehen hier vor einer Daueraufgabe. Es wäre grundfalsch, auf einen Schlussstrich hinzuarbeiten. Der Terroranschlag von Hanau muss eine Dauerverpflichtung für uns alle sein. Es gilt, alles dafür zu tun, dass sich so etwas niemals wiederholt. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit Hilfe der Umsetzung der Handlungsempfehlungen des Untersuchungsausschusses unsere Polizei stärken und Vertrauen zurückgewinnen können.“